"Warum sind da überall so Stäbe dran?"
Mit großer Wahrscheinlichkeit kennt jeder Bogenschütze oder Trainer diese Frage von Freunden, Bekannten oder Besuchern auf dem Schießplatz. Und auch wenn es zunächst einmal wie eine böse Unterstellung klingt: mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit ist es vermutlich erst wenigen der Gefragten gelungen, eine vollständige und korrekte Antwort auf diese Frage zu geben.
Denn wie so oft steckt der Teufel im Detail. Die Stabilisation hat nämlich mehre unterschiedliche Aufgaben bzw. Einflüsse - gleichzeitig und nacheinander. Besonders dieser zweite, zeitliche Aspekt macht es so schwer, die zunächst einfach klingende Frage vollständig und korrekt zu beantworten. Aber nur mit einem Gesamtverständnis aller Abhängigkeiten ist es für Bogenschützen und Trainer möglich, das optimale System auszuwählen bzw. das vorhandene System optimal einzustellen.
Zum besseren Verständnis aller Zusammenhänge ist etwas technisches Grundwissen von Vorteil. Die folgenden Erläuterungen und Beispiele sind jedoch bewusst so einfach gewählt, dass sie auch von einem interessierten technischen Laien Schritt für Schritt nachvollzogen werden können.
verschiedene Stabilisatoren inkl. Zubehör zur starren Verbindung
Ein starres Setup ist für Einsteiger und Profis gleichermaßen geeignet und stellt die Standardlösung für die Zusammenstellung bzw. den Aufbau der Stabilisation dar. Dabei sind alle Komponenten über eine Spinne/V-Bar fest miteinander und auch fest mit dem Mittelstück verbunden. Sie können zueinander weder bewegt, noch gedreht oder geschwenkt werden. Die Masse, der Schwerpunkt und damit auch das Verhalten des Bogens können durch ein starres Setup in weiten Grenzen beeinflusst und individuell auf den Schützen angepasst werden.
starres Setup mit Spinne/V-Bar
Es gibt praktisch keinen jüngeren WA-Weltrekord bzw. Olympiasieg, der ohne ein Setup dieser oder ähnlicher Art erzielt wurde.
Das Verhalten einer beweglichen Pendelspinne unterscheidet sich grundlegend vom Verhalten eines starren Setups. Die Seitenstabilisatoren sind dabei so beweglich/schwenkbar mit dem Bogen verbunden, dass sie immer senkrecht nach unten zeigen. Ihr (einziger) Vorteil gegenüber starren Setups besteht darin, dass sie in Kombination mit langen Seitenstabilisatoren einen sehr tief liegenden Schwerpunkt erzeugt, der den Bogen automatisch und nahezu unabhängig vom Anstellwinkel in eine aufrechte/senkrechte Position "zieht".
Nachteile ergeben sich bei fast allen dynamischen Vorgängen, da die Endgewichte der Seitenstabilisatoren durch den zusätzlichen Freiheitsgrad der Drehung vom restlichen Bogen entkoppelt sind. (Siehe Teil 3 dieser Artikelserie.)
Speziell im Umfeld des Feldbogenschießen können die Vorteile der senkrechten Bogenausrichtung überwiegen, da es durch Hanglagen, schiefe Bäume und andere Eindrücke deutlich anspruchsvoller ist, den Bogen reproduzierbar senkrecht zu halten, als auf einem WA-Wettkampffeld.
Pendelspinnen sind damit per se weder besser noch schlechter als starre Setups. Stattdessen gibt es spezielle Anwendungsfälle, bei denen ihr Vorteil ihre Nachteile überwiegen kann. Der Einsatz einer Pendelspinne sollte jedoch immer eine sorgfältige Einzelfallentscheidung sein.
bewegliches Setup mit Pendelspinne
Auch das Verhalten eines fußgedämpften Systems unterscheidet sich grundlegend vom Verhalten eines starren Setups. Dabei sind die Stabilisatoren und der Bogen so durch ein gedämpftes Gelenk miteinander verbunden, dass allseitig kleine Kippbewegungen möglich sind. Ihr (einziger) Vorteil gegenüber starren Setups besteht darin, dass sie bei einer geeigneten Kombination von Länge, Masse und Dämpfung als Schwingungstilger für die natürlichen Schwingungen des Bogenschützen (Muskeltremor, Herzschlag) fungieren und somit ein sehr ruhiges Zielen ermöglichen.
Nachteile ergeben sich bei fast allen dynamischen Vorgängen, da die Endgewichte der Stabilisatoren durch die zusätzlichen Freiheitsgrade im Gelenk vom restlichen Bogen entkoppelt sind. (Siehe Teil 3 dieser Artikelserie.)
Fußgedämpfte Systeme sind damit per se weder besser noch schlechter als starre Setups. Stattdessen gibt es spezielle Anwendungsfälle, bei denen ihr Vorteil ihre Nachteile überwiegen kann. Der Einsatz eines fußgedämpften Systems sollte jedoch immer eine sorgfältige Einzelfallentscheidung sein.
teilbeweglichen/fußgedämpften Setup/System
Alle Ausführungen dieser Artikelserie beziehen sich auf starre Setups, da diese einen deutlich höheren Verbreitungsgrad als Pendelspinnen bzw. fußgedämpfte Systeme aufweisen und gleichermaßen alle statischen/dynamischen Aspekte des Schusses abdecken. Damit stellen sie eine bewährte Standardlösung dar, von der nur in speziellen Anwendungsfällen abgewichen werden sollte.
Schlussfolgerung 1: Solange kein spezieller Anwendungsfall vorliegt, sollte ein starres Setup verwendet werden, das keinerlei Bewegungen der Stabilisatoren untereinander und zum Bogen zulässt.
Es gibt drei Faktoren, die unabhängig vom Schussablauf immer gleich sind: die Optik, die Masse und die Ausrichtung der Stabilisation.
die statischen drei Rahmenbedingungen der Stabilisation
Auch wenn es banal klingt: die Stabilisation sollte dem Schützen gefallen, er muss seinen Bogen als Gesamtsystem mögen. Aus technischer Sicht ist dieser Aspekt vollkommen zu vernachlässigen, aus psychologischer Sicht ist es jedoch erlaubt und manchmal sogar sinnvoll, genau die Ausrüstung zu verwenden, die einem ein gutes Gefühl gibt und Freude bereitet.
Ein Kind spielt auch selten mit seinem teuersten oder billigsten Spielzeug - aber häufig mit seinem Lieblingsspielzeug! Ganz genau so muss es einem Schützen Spaß machen, seinen Bogen zusammenzubauen, zu verwenden und in Vorbereitung des nächsten Einsatzes wieder vorsichtig einzupacken.
Schlussfolgerung 2: Die Stabilisation sollte dem Schützen gefallen und Freude bereiten.
Über die Stabilisation kann die Masse des Gesamtsystems (Bogen inkl. aller Anbauteile) variabel und wesentlich beeinflusst werden. Bzgl. der Gesamtmasse sieht es im Gegensatz zur Optik vollkommen anders aus: sie muss dem Schützen nicht gefallen, sondern sie muss vom Schützen (spielend) beherrscht werden. Eine zu große Masse ist ein absolutes Ausschlusskriterium! Kräftemäßige Überforderung führt zu Überlastung, Fehlhaltungen und schlechter Technikausführung. Körperliche Schäden, eine Stagnation der Leistung und sogar langfristiger Ringverlust können die Folge sein. Leicht anfangen, planmäßiges Krafttraining und dann schwerer machen führt immer(!) schneller zum Ziel als schwer anfangen und leichter machen.
Schlussfolgerung 3: Die Gesamtmasse des Bogens muss vom Schützen (spielend) beherrscht werden.
Tipp: Der 10-Mal-10-Test
Der 10-Mal-10-Test dauert ca. 3-4 Minuten und gibt Aufschluss über die körperliche Verfassung. Im aufgewärmten aber unbelasteten Zustand (d.h. direkt vor dem Training) wird im 10-Sekunden-Takt zwischen Ankerposition und Pause gewechselt bis die Ankerposition insgesamt 10 Mal für jeweils 10 Sekunden erreicht wurde.
Ein beginnender Haltungsfehler, übermäßiges Zittern oder gar ein Zusammenbrechen vor/in der 10. Wiederholung bedeutet, dass der Bogen nicht ausreichend beherrscht wird. Die Gesamtmasse bzw. das Zuggewicht sollten reduziert und das Krafttraining sollte intensiviert werden.
Häufig stellt sich die Frage "Wo ist eigentlich die Mitte des Bogens?". Wenn nicht von Anfang an alle Komponenten symmetrisch zueinander liegen und entsprechend optisch fluchten, dann brechen regelmäßig Diskussionen aus, welches Bauteil für die vorliegende Schieflage verantwortlich ist. Ein verzogener Bogen, ein krummer Monostabilisator oder auch eine schiefe Montagebuchse sind die üblichen Verdächtigen. Bei all diesen Überlegungen ist jedoch Vorsicht geboten, denn...
... Gewinde zentrieren nicht!
Diese Aussage ist eine wichtige Grundregel des (Präzisions-)Maschinenbaus. Gleichzeitig widerspricht sie dem alltäglichen Gefühl des geneigten "Hobbyschraubers". Damit ein Gewinde gängig ist, ist etwas Spiel zwischen den Zahnflanken von Außen- und Innengewinde (= Schraube und Mutter) erforderlich. Dieses notwendige Spiel verhindert jedoch eine Eignung als Zentrierung. Die Konsequenz dieses Umstandes lautet: Gewinde allein sind nicht geeignet, um Bauteile exakt zueinander zu positionieren bzw. zueinander auszurichten.
Gewindespiel zwischen Außen- und Innegewinde
(Schraube und Mutter)
Übertragen auf den Bogensport bedeutet das: Schiefstellungen der Gewinde zueinander werden durch das Gewindespiel und ggf. auch durch eine geringfügige elastische Verformung des Gewindebolzens am Monostabilisator aufgenommen.
Bei üblichen Fertigungsabweichungen geben daher weder der Gewindebolzen am Monostabilisator, noch die entsprechende Gewindebohrung am Mittelstück die Ausrichtung des Monostabilisators vor. Stattdessen wird die Lage zueinander durch die Geometrie/Ausrichtung der beiden Kontaktflächen bestimmt. Das Gewinde ist nur das Verbindungselement.
Im Idealfall ist die Kontaktfläche des Monostabilisators exakt senkrecht zur Achse des Monostabilisators und die Kontaktflächen am Mittelstück ist exakt senkrecht zur Mittelebene des Mittelstücks.
Bei einer Schiefstellung können zwei Fälle (und deren Kombination) unterschieden werden:
eine Schiefstellung der Kontaktfläche am Mittelstück (bzgl. der Mittelebene des Mittelstücks)
eine Schiefstellung der Kontaktfläche am Monostabilisator (bzgl. der Achse des Monostabilisators)
fluchtende und nicht-fluchtende Ausrichtung des Monostabilisators,
einfache Ursachenanalyse mittels (geeigneter) Unterlegscheibe
Tipp
Der zusätzliche Einbau einer gleichmäßig dicken Unterlegscheibe zwischen Bogen und Monostabilisator ist ein einfacher Test, um herauszufinden, welche der Komponenten (hauptsächlich) für eine erkennbare Schieflage verantwortlich ist.
Ändert sich die Schieflage durch den Einbau der Unterlegscheibe deutlich, ist die Ursache am Monostabilisator zu suchen. Bleibt die Schieflage nahezu gleich, ist die Ursache am Bogen zu suchen.
Typischerweise handelt es sich bei der Schraubverbindung zwischen Mittelstück und Monostabilisator um ein Zollgewinde der Art 5/16"-24 UNF mit einer Gewindesteigung von 1,058 mm. Optimal geeignet sind daher Unterlegscheiben mit einer Dicke von 0,5/1,5/2,5 mm, da diese ziemlich genau eine halbe Drehung (und damit einen Richtungswechsel) bewirken.
Bei einer erkannten Schiefstellung stellt sich folgerichtig die Frage, wie mit dieser umzugehen ist. Von einer Akzeptanz, dem Ausgleichen durch eine Bastellösung bis hin zum Wechsel der Ausrüstung stehen alle Wege offen.
Denn obwohl es sich bei einer Schiefstellung des Monostabilisators um einen vielleicht sogar irritierenden optischen Makel handelt, der weitere Tuning-Maßnahmen erschwert, gibt es keine funktionalen Einschränkungen. So lange sich der Bogen reproduzierbar zusammenbauen lässt, wird er sich nach jedem Zusammenbau gleich verhalten und anfühlen.
Schlussfolgerung 4: Der Monostabilisator sollte sich aus optischen Gründen und zur Erleichterung weiterführender Tuning-Maßnahmen in der Bogenmitte befinden.
Schlussfolgerung 5: Solange sich das Gesamtsystem (Bogen inkl. aller Anbauteile) reproduzierbar montieren lässt, liegt jedoch auch bei einer Schieflage des Monostabilisators keine funktionale Einschränkung vor.
Leider können auch seitlich verzogene Wurfarme bzw. dejustierte Wurfarmaufnahmen den irreführenden Eindruck erwecken, dass Bogen und/oder Monostabilisator eine Fehlstellung aufweisen. Daher sollte vor der mechanischen Fehlersuche zwischen Bogen und Monostabilisator eine fachgerechte Bogengrundeinstellung durchgeführt werden.